Wald

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Freitag, 2. Oktober 2015

Abschalten erfolglos

Manchmal sitzt man in der Bahn und das Handy klingelt. Das ist nervig. Man geht ran und versucht, den Anrufer mit einem Rückruf zu trösten, denn, seien wir ehrlich, die Akkustik in einem Zugabteil ist nicht gerade das Gelbe vom Ei. Es ruckelt und rattert und klötert, um einen herum unterhalten sich Leute, man muss fünf Mal nachfragen, bevor man den Anrufer überhaupt versteht. Außerdem kommt das Gefühl hinzu, alle um einen herum würden einem bei dem Telefonat belauschen. Nein, das macht keinen Spaß.
Nun gibt es natürlich verschiedene Arten von Menschen. Leider. Manche scheinen unter chronischer Im-Zug-Telefonitis zu leiden. Kurz: die können nicht anders! Arme Schweine. Ein Buch lesen? Oder Zeitung? Oder ein Drecksblatt, Hashtag Bild? Oder per MP3-Player Musik hören? Stricken, häkeln, Kreuzworträtsel lösen? Dösen? Die Augen schließen und sich Gedanken über was-auch-immer machen? Nein, nein, nein und nein. Diese Menschen können das nicht. Die müssen sich zwangsbeschäftigen, mit irgendetwas, nur nicht sich selbst. Bloß nicht nachdenken oder das Gehirn überbeanspruchen.
Also rein in die Bahn, raus mit dem Smartphone und telefonieren. Und nicht, um etwas zu klären, sondern um andere Leute zu nerven. Nicht das telefonische Gegenüber, obwohl, vielleicht auch, sondern das Umfeld. So meine persönliche Theorie. Die telefonieren, egal wie lange die Zugfahrt dauert. Zehn Minuten, anderthalb Stunden, egal. Blablabla. In einer Lautstärke! (Und wenn man so etwas sagt, dann bedeutet das immer, dass die Lautstärke eine schlechte ist) Was ist los mit euch Vollidioten? Könnt ihr nicht einmal die Klappe halten? Es fahren noch andere Menschen mit, stellt euch mal vor, die würden alle so ein Betragen an den Tag legen?! Aber nein, solche Argumente ziehen nicht.
Es ist wie mit dem Müllwegschmeißen oder Hundehäufcheneinsammeln. "Ja, aber wenn das alle machen würden!" Ja, dann wäre die Kacke tatsächlich am Dampfen, überall. Aber so weit denken diese Leute nicht, denn sie sind, na? Asozial, richtig. Asoziale macht unter anderem aus, dass man ihnen nicht sagen darf, dass sie asozial sind, weil sie sich dann noch asozialer verhalten würden. Sowieso ist Selbstreflektion nicht ihre Stärke.
Diese Woche habe ich das Upgrade (obwohl eigentlich eher Downgrade) des asozialen Im-Zug-Telefonierers erleben dürfen. Das muss man sich folgendermaßen vorstellen: Herr Asi weiß gerade niemanden, den er anrufen könnte. Panik steigt auf, was soll man nur tun? Man muss sich beschäftigen und gleichzeitig andere Leute nerven, sonst kann man das Wochenpensum an Asozialität, das es zu schaffen gilt, gleich mal wieder vergessen. Also: Musikhören. Einen MP3-Player braucht man nicht, ebenso wenig wie Kopfhörer, schließlich verfügt Herr Asi über ein Smartphone mit Lautsprecherfunktion. Der Ton ist zwar unterirdisch-schepprig, aber das ist ja eigentlich etwas gutes, da es andere Menschen nervt. Vom Musik"geschmack" von Herrn Asi möchte ich gar nicht erst anfangen. Ja, das ist schön, so am Morgen. Auf dem zweistündigen Pendelweg zur Arbeit. Mit leichten Kopfschmerzen, die langsam stärker werden. Das ist ganz ganz toll. Danke, Herr Asi.
Man kann nicht erwarten, dass er es irgendwann checkt. Nein, wirklich nicht. Aber das Glück ist auf meiner Seite. Die Musik hörte plötzlich auf. Ein Wunder! Balsam für die wunden Ohren und das strapazierte Nervenkostüm! Was war passiert? Richtig, Herr Asi wurde von einem seiner Kumpels angerufen, mit dem er dann telefonierte, bis er die Bahn, nur eine Haltestelle vor meiner eigenen, verließ. Hasserfüllte Blicke bohrten sich beim Austieg in seinen Rücken. Aber er merkte es nicht, schließlich ist Selbstreflektion unverständlicherweise der Feind!

Donnerstag, 17. September 2015

Beschäftigungstherapie

Über Frauen von Männern, die ihr eigenes Unternehmen haben, gibt es jede Menge Vorurteile. Sie müssen zum Beispiel beschäftigt werden, damit sie nicht "am Rad drehen". Dafür wurden die sogenannten "Projekte" erfunden (der Volksmund spricht hier von "Beschäftigungstherapie").
Frauen von Chefs haben, bevor sie Hausfrau und Mutter wurden, früher mal irgendetwas gelernt, wo heute kein Hahn mehr nach kräht. Aber nun sind die Kinder erwachsen und aus dem Haus, ihre Hobbys füllen die Frauen der Chefs nicht mehr aus und sie suchen händeringend nach Aufgaben, die ihrer würdig sind. Etwas wichtiges, etwas relevantes, etwas mit Einfluss. Etwas, was der Umwelt zeigt: Nein, dies hier ist nicht nur eine ehemalige Hausfrau und Mutter, die ihre Karriere geopfert hat. Nein, dies hier ist eine Karrierefrau, die trotz einiger Jahre Auszeit noch immer ganz oben mitmischt.
Und wo könnte man derartige Wünsche besser ausleben, als in der Firma des eigenen Mannes?
Nun, man nistet sich also in der Firma ein und überlegt sich etwas, was angesagt ist. Nach Wochen und Monaten dann endlich die Idee: Ein Blog muss her. Ein eigener Blog, der monitär an die Firma gekoppelt ist, ihr aber null Mehrwert bietet. Erst einmal. Langfristig wird das Ding einschlagen wie eine Bombe, wie eine virtuelle Gelddruckmaschine. Oder so. Blogs sind total gefragt und funktionieren im World Wide Web sicher auch ungemein erfolgreich. Vor allem, weil ja sonst kaum jemand auf die Idee kommt, einen Blog zu erstellen, und über Dinge zu schreiben. Nein, das ist wirklich eine ganze hervorragende Idee!
Problem allerdings: die Frau vom Chef hat keine Ahnung von Technik oder Computerprogrammen, erfasst die Gesamheit und Größe des Internets nicht einmal in seinen Grundzügen und sie ist außerdem keine wirkliche Schreibernatur. Sie kümmert sich halt um den kreativen Teil, die Untergebenen (=Angestellten ihres Mannes) kümmern sich um den Rest.
Für die Einrichtung des Blogs wird die betriebseigene IT-Abteilung eingespannt - die hat ja sonst nichts zu tun. Weitere Untergebene bekommen den Auftrag, monatlich mehrere Artikel für den Blog zu schreiben, so dass "Content" auf die Seite kommt. Woher die Zeit nehmen, wenn nicht stehlen? Na, das werden die Untergebenen sich halt irgendwie "hinstrukturieren" müssen.
Das Praktische zu Zeiten des Internet ist eben: muss man nichts mehr aus dem Kopf wissen - man muss nur wissen, wo man's nachlesen kann. Oder, in diesem Fall: wen man damit beauftragen kann. Und das kann die Frau vom Chef, gerade, wenn eben dieser Chef soviel Angst vor seiner ihm Angetrauen hat, dass er sich komplett raushält und sie einfach machen lässt. Und wenn dabei ein wenig Kohle den Bach runtergeht und auf nimmer Wiedersehen verschwindet, ist das auch nicht so dramatisch. Was soll's, ist doch nur Geld. Dafür ist die Frau beschäftigt und der Chef hat seine Ruhe - im Gegensatz zu den ihm Untergebenen. Die haben mehr Arbeit für gleiches Geld, mehr Stress und entwickeln einen größeren Menschenhass. In diesem Sinne...

Montag, 2. Februar 2015

Menschen aus der Vergangenheit

Wer kennt das nicht? Bei Facebook angemeldet, alte Klassenkameraden wiedergefunden, man "freundet sich an", weil... na ja, weil es sich eben so gehört. Man kennt sich, mehr oder weniger. Man ist jetzt vielleicht nicht so dicke und fand sich im Grunde genommen schon damals scheiße, aber was soll's...? Derjenige wird in die Sparte "Bekannte" einsortiert und wenn derjenige zuviel unnützen Kram postet, de-abonniert man ihn eben wieder.
Dann gibt es da diese eine spezielle Bekannte in meiner Freundesliste. Vermutlich verfügt jeder auf Facebook über mindestens eine von der Sorte. Die "Guckt-mal-was-für-ein-toller-Mensch-ich-bin"-Sorte.
Etwa vier Jahre gingen wir gemeinsam zur Schule, durch die Pubertät sozusagen. Als der Teil meiner Clique, den ich am wenigsten mochte. Heute ist sie so eine, die gerne "weise Sprüche" postet. Natürlich nicht selbst geschrieben, sondern als Bild, von fremden Menschen getippt, die einen auf Moralischen machen und dabei Komma-Regeln und Orthografie auch gerne mal außer acht lassen.
Meine Bekannte postet dann Sprüche wie "Ein Freund ist ein Mensch, der dein Lächeln sieht... und trotzdem spürt, dass deine Seele weint."
Oder: "Manchmal ist es besser, jemanden in dem Glauben zu lassen, er hätte gewonnen, bis er irgendwann selbst merkt, dass er beim Gewinnen sehr viel verloren hat!"
Oder:"Eine gute Beziehung ist es erst dann, wenn man Handys tauschen kann und 2 Tage später immer noch zusammen ist? Falsch! Eine gute Beziehung ist es, wenn man keinen Grund dazu hat, die Handys zu tauschen, weil man weiß, dass man sich auch ohne Kontrolle vertrauen kann!"
Ja, denkt nun der Außenstehende, diese Person scheint sehr tiefgründig zu sein, emotional, klug, empathisch. Oder sie scheint zumindest den Anschein erwecken zu wollen, als wäre sie es. Aber ich weiß, wie dieser Mensch als Teenager war! Ich möchte nicht behaupten, Leute würden sich nicht ändern. Manche tun es, hin und wieder sogar zum Besseren. Doch manchmal glaube ich, man kennt einen Menschen erst richtig, wenn man mehrere Jahre in seiner Gegenwart verbracht hat, in schweren Zeiten, in Zeiten, in denen den Hormonen eine so große Rolle zugeschrieben wird. Da erkennt man das wahre Gesicht eines Menschen, oder? Nun ja, ich hab mich seitdem zwar sehr verändert und eventuell gestehe ich das auch allen anderen zu.
Andererseits kann ich aber auch nicht aus meiner Haut. Ich habe diese Bekannte das letzte Mal vor gut 15 Jahren gesehen, bis sie ihren Schulabschluss machte. In den Jahren zuvor war sie nervig. Richtig nervig. Sie war die erste in unserer Klasse, die geraucht und (fast) alle anderen damit "infiziert" hat. Sie war die mit dem reichen Daddy, die mit ihrem Geld protzte, sich in den Pausen dreimal so viel Naschis wie die anderen kaufte und sich damit Freunde erkaufen wollte. Sie war diejenige, die bei einem Stadtbummel vor sämtlichen Geschäften stehen bleiben musste - sie hatte überall Hausverbot, war in diversen Klamottenläden beim Klauen erwischt worden. Sie machte mit Ach und Krach einen mittelmäßigen Schulabschluss, um dann (natürlich) in der Firma ihres Daddys anzufangen. Sie wechselte ihre festen Freunde im Wochentakt, war jedes Wochenende bis zum Blackout betrunken und gab sogar einmal einem Jungen, den sie toll fand, 20 Mark, damit dieser 14 Tage lang mit ihr ginge. Sie schrieb die schlechtesten Schularbeiten, war frech zu den Lehrern, redete permanent im Unterricht, kam regelmäßg zu spät oder schwänzte gleich ganz. Und wenn so jemand dann postet:
"Ich wurde erzogen! Ich bin nicht einfach nur aufgewachsen... Mir wurde beigebracht zu grüßen, wenn ich den Raum betrete, bitte und danke zu sagen, das Alter zu respektieren und meinen Sitzplatz älteren und beeinträchtigten Personen anzubieten. Fragen zu beantworten (sei es nur mit ja oder nein). Bedürftige zu unterstützen und die Tür für die folgenden Personen aufzuhalten ist für mich genauso selbstverständlich, wie mich zu entschuldigen, wenn es erforderlich ist. Außerdem wurde mir näher gebracht, die Menschen dafür zu lieben, wie sie sind und nicht, wer sie sind oder was diese für mich tun können! Wurdest du auch so erzogen, teile dieses Bild!"
Dann bin ich versucht, einen Kommentar dort, für alle sichtbar, auf ihrer Facebook-Pinnwand zu hinterlassen: "Während der Schulzeit hast du das aber ganz schön geschickt verbergen können." Oder etwas dergleichen. Ich könnte auch ganz einfach schreiben "Ich glaube dir nicht." Gut, Menschen ändern sich, aber so radikal? Erzählen wirkliche "Gutmenschen" täglich, wie gut sie tatsächlich sind?