Wald

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Montag, 2. Februar 2015

Menschen aus der Vergangenheit

Wer kennt das nicht? Bei Facebook angemeldet, alte Klassenkameraden wiedergefunden, man "freundet sich an", weil... na ja, weil es sich eben so gehört. Man kennt sich, mehr oder weniger. Man ist jetzt vielleicht nicht so dicke und fand sich im Grunde genommen schon damals scheiße, aber was soll's...? Derjenige wird in die Sparte "Bekannte" einsortiert und wenn derjenige zuviel unnützen Kram postet, de-abonniert man ihn eben wieder.
Dann gibt es da diese eine spezielle Bekannte in meiner Freundesliste. Vermutlich verfügt jeder auf Facebook über mindestens eine von der Sorte. Die "Guckt-mal-was-für-ein-toller-Mensch-ich-bin"-Sorte.
Etwa vier Jahre gingen wir gemeinsam zur Schule, durch die Pubertät sozusagen. Als der Teil meiner Clique, den ich am wenigsten mochte. Heute ist sie so eine, die gerne "weise Sprüche" postet. Natürlich nicht selbst geschrieben, sondern als Bild, von fremden Menschen getippt, die einen auf Moralischen machen und dabei Komma-Regeln und Orthografie auch gerne mal außer acht lassen.
Meine Bekannte postet dann Sprüche wie "Ein Freund ist ein Mensch, der dein Lächeln sieht... und trotzdem spürt, dass deine Seele weint."
Oder: "Manchmal ist es besser, jemanden in dem Glauben zu lassen, er hätte gewonnen, bis er irgendwann selbst merkt, dass er beim Gewinnen sehr viel verloren hat!"
Oder:"Eine gute Beziehung ist es erst dann, wenn man Handys tauschen kann und 2 Tage später immer noch zusammen ist? Falsch! Eine gute Beziehung ist es, wenn man keinen Grund dazu hat, die Handys zu tauschen, weil man weiß, dass man sich auch ohne Kontrolle vertrauen kann!"
Ja, denkt nun der Außenstehende, diese Person scheint sehr tiefgründig zu sein, emotional, klug, empathisch. Oder sie scheint zumindest den Anschein erwecken zu wollen, als wäre sie es. Aber ich weiß, wie dieser Mensch als Teenager war! Ich möchte nicht behaupten, Leute würden sich nicht ändern. Manche tun es, hin und wieder sogar zum Besseren. Doch manchmal glaube ich, man kennt einen Menschen erst richtig, wenn man mehrere Jahre in seiner Gegenwart verbracht hat, in schweren Zeiten, in Zeiten, in denen den Hormonen eine so große Rolle zugeschrieben wird. Da erkennt man das wahre Gesicht eines Menschen, oder? Nun ja, ich hab mich seitdem zwar sehr verändert und eventuell gestehe ich das auch allen anderen zu.
Andererseits kann ich aber auch nicht aus meiner Haut. Ich habe diese Bekannte das letzte Mal vor gut 15 Jahren gesehen, bis sie ihren Schulabschluss machte. In den Jahren zuvor war sie nervig. Richtig nervig. Sie war die erste in unserer Klasse, die geraucht und (fast) alle anderen damit "infiziert" hat. Sie war die mit dem reichen Daddy, die mit ihrem Geld protzte, sich in den Pausen dreimal so viel Naschis wie die anderen kaufte und sich damit Freunde erkaufen wollte. Sie war diejenige, die bei einem Stadtbummel vor sämtlichen Geschäften stehen bleiben musste - sie hatte überall Hausverbot, war in diversen Klamottenläden beim Klauen erwischt worden. Sie machte mit Ach und Krach einen mittelmäßigen Schulabschluss, um dann (natürlich) in der Firma ihres Daddys anzufangen. Sie wechselte ihre festen Freunde im Wochentakt, war jedes Wochenende bis zum Blackout betrunken und gab sogar einmal einem Jungen, den sie toll fand, 20 Mark, damit dieser 14 Tage lang mit ihr ginge. Sie schrieb die schlechtesten Schularbeiten, war frech zu den Lehrern, redete permanent im Unterricht, kam regelmäßg zu spät oder schwänzte gleich ganz. Und wenn so jemand dann postet:
"Ich wurde erzogen! Ich bin nicht einfach nur aufgewachsen... Mir wurde beigebracht zu grüßen, wenn ich den Raum betrete, bitte und danke zu sagen, das Alter zu respektieren und meinen Sitzplatz älteren und beeinträchtigten Personen anzubieten. Fragen zu beantworten (sei es nur mit ja oder nein). Bedürftige zu unterstützen und die Tür für die folgenden Personen aufzuhalten ist für mich genauso selbstverständlich, wie mich zu entschuldigen, wenn es erforderlich ist. Außerdem wurde mir näher gebracht, die Menschen dafür zu lieben, wie sie sind und nicht, wer sie sind oder was diese für mich tun können! Wurdest du auch so erzogen, teile dieses Bild!"
Dann bin ich versucht, einen Kommentar dort, für alle sichtbar, auf ihrer Facebook-Pinnwand zu hinterlassen: "Während der Schulzeit hast du das aber ganz schön geschickt verbergen können." Oder etwas dergleichen. Ich könnte auch ganz einfach schreiben "Ich glaube dir nicht." Gut, Menschen ändern sich, aber so radikal? Erzählen wirkliche "Gutmenschen" täglich, wie gut sie tatsächlich sind?